Sehr geehrte Mitbürgerinnen und Mitbürger,
in unseren Berichten der letzten Wochen haben wir Sie über die geplante Schnellbahntrasse von Frankfurt nach Fulda und damit verbundenen möglichen Problemen für unsere Gemeinde informiert. Heute geht es um Umwelt- und Naturschutz.
Die Deutsche Bahn hat die Planungsgesellschaft Natur & Umwelt mbH mit einem Gutachten beauftragt. Das Gutachten vom 25.02.2020 befasst sich mit der Frage, ob und in welchem Maße schützenswerte Tierarten und Pflanzen durch die verschiedenen Trassenvarianten in ihrem Lebensbereich betroffen sein können. Rechtsgrundlage bildet § 44 Abs. 1 Bundesnaturschutzgesetz (BNatSchG). Die Vorschrift soll das Eingriffsverbot in besonders schützenswerte Tierarten und Pflanzen sicherstellen. Allerdings bleiben unvermeidbare Eingriffe in Natur und Landschaft unter besonderen Voraussetzungen möglich (§ 44 Abs. 5 BNatSchG).
In dem Gutachten werden die Tierarten aufgeführt, die einen Variantenverlauf der Bahntrasse aus artenschutzrechtlichen Gründen deutlich erschweren oder unmöglich machen, sofern die jeweilige Variante in der Nähe deren Vorkommen verläuft. Insoweit müssen Mindestabstände beachtet werden.
Die Gutachter haben als Datengrundlage für die schützenswerten Vogelarten Aufzeichnungen von der Vogelschutzwarte Frankfurt erhalten, die jährlich bzw. in regelmäßigen Abständen aktualisiert werden. Dabei sind die Nachweise der letzten fünf Jahre berücksichtigt worden.
Allerdings liegen für den Untersuchungsraum keine systematischen und flächendeckenden Kartierungen vor. So ist für einige Vogelarten (bspw. Baumfalke, Habicht), die Fledermausarten Graues Langohr und Große Bartfledermaus und die Käferart Eremit die Datenlage unzureichend. Für die Variantenbewertung besteht insoweit eine Kenntnislücke.
Auch für die nachstehenden Tierarten bestehen Datenlücken wie Rebhuhn, Steinkauz, Bekassine, Kiebitz, Braunkehlchen, Wachtelkönig, sowie für die Schmetterlingsarten Dunkler Wiesenkopf-Ameisenbläuling, Heller Wiesenkopf Ameisenbläuling.
Bei entsprechendem Vorkommen werden maximale Distanzen zwischen Bahnkörper und Tierart bestimmt, um so eine Beeinträchtigung der Tierart ausschließen zu können. So bspw.:
Bekassine 200 m Schwarzmilan 300 m
Braunkehlchen 200m Schwarzstorch 500 m
Graureiher 200 m Uhu 500 m
Habicht 200 m Wachtelkönig 100 m
Kibitz 200 m Wiesenpieper 200 m
Rotmilan 300 m Ziegenmelker 200 m
Anm.: Die Aufzählung ist nicht abschließend.
Ein besonderer Schutz kommt den verschiedenen Fledermausarten zu, insbesondere aber der Mopsfledermaus, die in Hessen zu den stark gefährdeten und vom Aussterben bedrohten Tierarten gehört.
Im Bereich ihres Vorkommens könnte keine Genehmigung für eine Bahntrasse erfolgen. Der Puffer zwischen ihrem Standort und einer geplanten Bahntrasse wird auf 3.000 m festgesetzt.
Dies ist auch der wesentliche Grund, weshalb die Trassenvarianten I-III durch den Spessart, dem Vorkommen der Mopsfledermaus, als nicht realisierbar eingestuft werden.
In der Konfliktanalyse Bahn-Variante : geschützte Tierart wird artbezogen geprüft, ob für die prüfungsrelevanten Tierarten die Verbotstatbestände des § 44 BNatSchG eingreifen. Grundlage hierfür ist die Überlagerung der anlage-, bau- und betriebsbedingten Wirkung des Vorhabens mit dem Vorkommen der hinsichtlich ihrer Empfindlichkeit beurteilten Artvorkommen sowie deren Fortpflanzung und Ruhestätten.
Die Gutachter stellen fest, dass keine der geprüften Varianten ohne hohes Konfliktrisiko sei. Bei gegenwärtiger Datenlage sei daher in jedem Fall eine Ausnahmeprüfung gem. § 45 Abs. 7 BNatSchG erforderlich. Nach den Feststellungen der Gutachter weisen die Varianten V und VII sowie V/IV und V/VI die geringsten Konfliktrisiken auf. Gleichwohl sind bei diesen Varianten Orte betroffen mit hohem Konfliktrisiko: so Rotmilan (Erhaltungszustand ungünstig – unzureichend) und alter Laubwald, in dem der Grauspecht sowie der Schwarz- und der Mittelspecht und die Bechsteinfledermaus (Erhaltungszustand jeweils ungünstig – unzureichend) zu erwarten sind.
Da die Datengrundlagen für die Erhebungen im Wesentlichen aus den Jahren 2014 + 2016 stammen, sich Populationen aber ständig änderten, seien bis zum Planfeststellungsverfahren bzw. Baubeginn weitere Aktualisierungen der Bestandssituation erforderlich. Zudem seien im Planfeststellungsverfahren und vor Baubeginn (ohnehin) detailliertere und umfangreichere Erhebungen, die weitere Arten und Artengruppen umschließen würden, erforderlich.
Ob sich dann aufzeigende Konflikte lösbar sind, kann erst im Zuge des Planfeststellungsverfahrens beantwortet werden, weil erst dann detaillierte Kartierungen erfolgen, mit denen verifiziert wird, ob die gegenwärtig vorhandenen und angenommenen Artvorkommen noch bzw. tatsächlich vorkommen. Erst bei der endgültigen Trassengestaltung wird ersichtlich, ob es zu unlösbaren artenschutzrechtlichen Konflikten kommt.
Im Streckenabschnitt der Variante IV bei Mittelkalbach sind die vor genannten Voraussetzungen gegeben. Denn im Bereich der Einfädelung der neuen Schnellbahnstrecke in die Strecke Fulda-Würzburg befindet sich ein alter Laubwald, in dem die o.g. Tierarten leben (siehe obigen Kartenausschnitt).
Mit hohem Konfliktrisiko
Tierart Erhaltngszustand
Bechsteinfledermaus – ungünstig, unzureichend
Grauses Langohr – ungünstige, unzureichend
Große Bartfledermaus – ungünstig, unzureichend
Großer Abendsegler – ungünstig, unzureichend
Kleiner Abendsegle – ungünstig, unzureichend
Grauspecht – ungünstig – schlecht
Kleinspecht – ungünstig, unzureichend
Mittelspecht – ungünstig, unzureichend
Schwarzspecht – ungünstig, unzureichend
Unverständlicherweise sind nicht aufgeführt der Rotmilan, den wir täglich über Mittel- und Niederkalbach kreisen sehen und der Uhu, dessen Vorkommen ebenfalls nachgewiesen ist sowie der Schwarzstorch, der östlich der bestehenden Bahntrasse brütet. Der Erhaltungszustand dieser Tierarten wird ebenfalls als ungünstig, unzureichend bewertet.
Es ist daher unsere Aufgabe, mit den örtlich Sachkundigen und der Verwaltung, die erforderlichen Nachweise zu erbringen, um der Bahn belegen zu können, dass die Variante IV auch aus naturschutzrelevanten Gründen die falsche Variante ist.
Jakob Brähler
Sprecher der BI